Friedhof statt Gropiusstadt?

Kein Gemeindefriedhof, sondern die Gropiusstadt

Um Leben und Tod…

…ging es bei der Planung auf dem Gebiet der heutigen Gropiusstadt.

Schon um die Wende zum 20. Jahrhundert wurde in der damals noch selbständigen Stadt Rixdorf (ab 1912 Neukölln) über eine Erweiterung der Friedhofsfläche nachgedacht, weil sich die Einwohnerzahl von damals (etwa 90.000) stetig erhöhte und der Platz auf den städtischen wie auch auf den kirchlichen Friedhöfen sehr begrenzt war. Ende des ersten Weltkrieges konzentrierte man sich auf ein Grundstück, das man von der „Terrain-Gesellschaft am Teltow-Canal Rudow-Johannisthal Aktiengesellschaft“ erwerben wollte, nachdem Gelände in Britz und Wassmansdorf wegen des Preises oder ungünstiger Verkehrsverbindungen verworfen wurden. In Rudow gelegen und begrenzt von Kaiser-Wilhelm-Straße, Buckower Chaussee, Rudower Wäldchen, Trasse der Neukölln-Mittenwalder-Eisenbahn und Stubenrauchstraße (heute Neuköllner Straße, Fritz-Erler-Allee, Vogel-Wäldchen, Eisenbahntrasse und Zwickauer Damm), war es durch die Straßenbahn und eben die Neukölln-Mittenwalder-Eisenbahn von Neukölln her an das Verkehrsnetz angebunden.

Friedhof in spe…
Anfänglich zeigte sich die Gemeinde Rudow wohlwollend, die schon Vorbereitungen zur Erschließung des Gebietes entwickelt hatte und Pläne, die in die ehemalige Stubenrauchstraße (Zwickauer Damm) mündenden Straßen bis zur Buckower Chaussee (Fritz-Erler-Allee) zu verlängern. Im weiteren Verlauf der Verhandlungen wurden die Ansprüche allerdings höher. So forderte man Unterstützung bei dem Bemühen, die Straßenbahn zweigleisig bis Rudow auszubauen und eine Entschädigung für die Erschließungsvorbereitungen. Neukölln verpflichtete sich daraufhin, die Kosten für eine hinter der Rudower Schule zu errichtende Turnhalle in Höhe von 80.000 Reichsmark zu übernehmen. So wurde man einig und Neukölln kaufte 1919 das 275 Morgen große Gelände für 984.500 RM.
Jenseits der heutigen Fritz-Erler-Allee an der Ecke Efeuweg wurde auf einem weiteren 35 Morgen umfassenden Grundstück die Friedhofsgärtnerei eingerichtet und mit der Detailplanung des Friedhofs begonnen. Die Anbindung an das Rohrnetz der Charlottenburger Wasserwerke konnte sichergestellt werden. Die Kosten für die Friedhofsanlage schätzte man auf mehr als 15 Mio Reichsmark. Der Bau eines Krematoriums sollte später erfolgen.

… auf Eis,
Alle Vorbereitungen hatten sich bis 1920 hingezogen. Nun erfolgte die Eingemeindung Neuköllns und Rudows zu Berlin und es zeigte sich, dass der Friedhof in Groß-Berlin nicht gebraucht wurde, zwei große Friedhöfe, Stahnsdorf und Ahrensfelde waren schon in Betrieb, Mühlenbeck in Planung. Außerdem brauchten die zunehmenden Urnenbeisetzungen deutlich weniger Platz. Erst 1932 verabschiedete man sich dann endgültig von den Friedhofsplänen und wies das Grundstück für den Siedlungsbau aus, für den schon damals die gemeinnützige Wohnungsgesellschaft Gehag vorgesehen war. Offenbar wegen der schwierigen wirtschaftlichen Lage, in der größere Bauvorhaben nicht zu verwirklichen waren, wurde das Gelände für 5 Jahre zur Verpachtung freigegeben. Genutzt wurde es jedoch bis zum Bau der Gropiusstadt überwiegend als landwirtschaftliches Pachtland. Auf Stadtplänen und Karten hielt sich der vorgesehene Friedhof noch bis in die 30er Jahre.

… Geschichte: Stattdessen Gropiusstadt
Das Gelände der Friedhofsgärtnerei, die nun zur Stadtgärtnerei wurde, zerstückelte man nach und nach. Einen Teil verkaufte die Stadt Berlin 1934 an die Gehag, die darauf (am Efeuweg) Einfamilienhäuser errichtete, auf einem anderen Teil wurde zuerst 1932 das Stallgebäude zu einer vierklassigen Schule umgebaut und 1937 eine Gemeinschaftschule eingeweiht, die 1944 durch Bomben total zerstört wurde. Mit dem Bau der Gropiusstadt verlegte man die Stadtgärtnerei zum Parkfriedhof Neukölln. Heute befinden sich an ihrer Stelle die Walt-Disney- und die Liebig Schule.

Letztlich haben sich die Stadtväter - wenn auch nach einigen gedanklichen Umwegen - für das Leben entschieden und die Gropiusstadt gebaut. Und wir leben doch nicht schlecht hier, oder?

Übrigens hat mir der Zufall bei meinen Ermittlungen geholfen. Ich hatte schon mehrfach in heimatkundlichen Schriften von dem damaligen Friedhofsplan gelesen, aber kaum Einzelheiten erfahren. Im vergangenen Jahr plauderte ich dann mit einem Nachbarn mal über meine „Arbeit“ und es stellte sich heraus, dass er als ehemaliger Gärtnermeister beim Bezirksamt Neukölln, die Möglichkeit sah, mir die „Tür zum Friedhofsamt zu öffnen“. Geagt, getan! Beim Friedhofsamt liegen die vollständigen (zum Teil über 100 Jahre alten) Akten im Archiv. Die Mitarbeiter haben meine Recherche dort sehr freundlich unterstützt.

Text:
Hans-Georg Miethke